KAB mischt mit: Fragen an die Spitzenkandidat*innen aus Niedersachsen
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ist ein Berufs- und Sozialverband, der sich für die Interessen seiner Mitglieder einsetzt. Unser Anliegen ist es, dass der Mensch und seine Umwelt im Mittelpunkt von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche steht. Hierfür setzen wir uns politisch auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europaebene ein. Im Rahmen der Bundestagswahl sind wir mit den Spitzenkandidat*innen der demokratischen Parteien im Gespräch!
Dieses Mal im Gespräch mit
Christian Dürr von den Freien Demokraten
Christian Dürr ist Bundestagsabgeordneter und stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender. Bei der Bundestagswahl im September tritt er als Spitzenkandidat der FDP Niedersachsen an. Er lebt mit seiner Familie in Ganderkesee bei Bremen.
Thema: Arbeit - WERTvoll arbeiten – menschenwürdig statt prekär
Ausgangslage
Prekäre Arbeit ist weiterhin auf dem Vormarsch. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind häufig ungeschützt, schlecht entlohnt, risikobehaftet und bedeuten eine ungewisse Perspektive für die Zukunft. Prekär Arbeitende können ihre Rechte nicht ausreichend wahrnehmen und haben so einen geringeren sozialen Schutz. Sie tragen ein deutlich höheres gesundheitliches Risiko, sind größeren Gefahren ausgesetzt, zu erkranken und sogar dauerhaft arbeitsunfähig zu werden.
Arbeitslosigkeit ist eine ständige Bedrohung für viele prekär Beschäftigte. 40 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse sind mittlerweile »atypisch«, d.h. sie entsprechen nicht in vollem Maße »Normalarbeitsverhältnissen«.
Dafür setzen wir uns ein!
- Wir wollen einen gerechten Lohn für alle! Wer arbeitet, muss von seinem Lohn leben können. Deshalb muss der gesetzliche Mindestlohn deutlich auf 14,09 Euro pro Stunde angehoben werden. Wir setzen uns dafür ein, dass der Mindestlohn mindestens 60 Prozent des Durchschnittslohns beträgt.
- Wir wollen prekäre Arbeit abschaffen! Jede Arbeit muss menschenwürdig sein. Unser Ziel ist eine Vollbeschäftigung an menschenwürdiger und WERTvoller Arbeit. Arbeit ist wertvoll. Nur dann ist sie sinnvoll, verlässlich, beständig und gut für alle. Dann stärkt sie das Gemeinwohl und den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dafür setzen wir uns ein.
- Wir wollen die Rechte der arbeitenden Menschen stärken und ausbauen! Deshalb muss die Tarifbindung durch ein Tariftreuegesetz und Allgemeinverbindlichkeitserklärungen deutlich ausgebaut werden. Wir fordern den Ausbau der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung. Wir setzen uns für ein Lieferkettengesetz ein, das menschenwürdige Arbeit in allen Produktions- und Distributionsprozessen als Kernnorm festschreibt.
1. Herr Dürr, wie stehen Sie zu der Forderung der KAB, den gesetzlichen Mindestlohn auf 14,09 Euro zu
erhöhen? Welche Höhe des gesetzlichen Mindestlohns favorisieren sie?
„Aus unserer Sicht ist die Arbeit ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Wir sind deshalb der Auffassung, dass jeder, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft, eine echte und faire Chance auf dem Arbeitsmarkt haben sollte. Unsere arbeitspolitischen Maßnahmen sollen Menschen befähigen und ihnen eine Chance geben, ein eigenes Einkommen aus eigener Arbeit zu erzielen, anstatt von einer Maßnahme in die andere zu führen. Dieses Einkommen muss selbstverständlich auch angemessen sein. In der jetzigen Lage wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit kann aber ein zu hoher Mindestlohn dazu führen, dass Arbeitsplätze abgebaut oder nicht neu geschaffen werden. Deshalb darf die Festsetzung eines Mindestlohns nicht Gegenstand eines Überbietungswettbewerbs und parteipolitischer Profilierung für den Wahlkampf sein. Zudem ist nicht nur die Lohnhöhe entscheidend. Wir wollen eine Trendwende bei der Abgabenquote erreichen und die Abgabenbelastung für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber wieder auf unter 40 Prozent senken. Unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin stieg die Abgabenquote (Steuerquote plus Sozialbeitragsquote) in Deutschland auf 41,4 Prozent - bei ihrem Amtsantritt lag diese noch bei 38,8 Prozent. Hier wollen wir ansetzen.“
2. Die KAB setzt sich für menschenwürdige Arbeit ein und fordert die Abschaffung »prekärer Beschäftigungsverhältnisse«. Wie stehen Sie zu dieser Forderung? Für welche politischen Maßnahmen werden Sie sich einsetzen, um »Normalarbeitsverhältnisse« auszubauen und zu stärken?
„Wir wollen die Menschen befähigen, einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten und dafür sorgen, dass sich diese Arbeit dann auch lohnt. Ein denkbarer Weg für Minijobs wäre es, die starre 450-Euro-Verdienstgrenze für die abgabenfreie Beschäftigung zu erhöhen. Ein Beispiel für die konkrete Verbesserung bei den von Abgaben betroffenen Arbeiten ist unsere Forderung nach einer kompletten Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Der Solidaritätszuschlag war und bleibt eine nicht auf Dauer angelegte Sondersteuer. Ende 2019 lief der Solidarpakt aus. Damit ist die Erhebung des Solidaritätszuschlags nicht mehr zu rechtfertigen.“
3. Die KAB will die Tarifbindungen und die Mitbestimmung stärken und ausbauen. Welche Bedeutung hat für Sie persönlich die betriebliche Mitbestimmung und die Unternehmensmitbestimmung? Was sagt ihre Partei dazu?
„Die betriebliche Mitbestimmung ist seit 100 Jahren eine der tragenden Säulen der Arbeitsmarktordnung in Deutschland. Eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat wirkt sich positiv auf die Stabilität der Unternehmen und damit positiv auf den Wirtschaftsstandort insgesamt aus.“
4. Mit zahlreichen anderen Organisationen engagiert sich die KAB seit langem in der »Initiative Lieferkettengesetz«, damit Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörungen vermeiden - bei uns, in Europa und weltweit. Wie stehen Sie zu einem wirksamen Lieferkettengesetz? Sollte Deutschland eine Vorreiterrolle für soziale und ökologische Standards in Europa und weltweit übernehmen?
„Auf europäischer Ebene schreiten die Verhandlungen um eine europäische Regulierung von Sorgfaltspflichten in Lieferketten zügig voran. Die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Rahmenwerks ist begrüßenswert, wenn dieser angemessene und unbürokratische Regelungen findet, die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen nicht benachteiligen. Der derzeitige deutsche Alleingang verschärft den bestehenden Flickenteppich, führt zu Doppelstrukturen und vermeidbarer Bürokratie. Dieses Vorgehen wird weder dem Ziel der Entbürokratisierung noch dem Kernziel, die Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern, gerecht.“
Thema: Verteilungsgerechtigkeit - Die Lasten der Corona-Pandemie gerecht verteilen!
Ausgangslage
Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft tief erschüttert und die soziale Spaltung unserer Gesellschaft offengelegt. Sie hat vor allem diejenigen hart getroffen, die sowieso schon am Rande unserer Gesellschaft stehen: Geringverdiener*innen, Minijobber*innen, Soloselbständige, »Click-Worker«, kurzfristig Projektbeschäftigte, Alleinerziehende, Auszubildende, Student*innen, Zugewanderte, Erwerbslose, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen und Obdachlose. Die Bundesregierung hat mit Rettungsschirmen, Überbrückungshilfen, Konjunkturpaketen und anderen Maßnahmen den Kollaps verhindert. Der Sozialstaat hat sich als funktionsfähig gewiesen. Gleichzeitig sind aber auch seine Defizite deutlich geworden. Sichtbar wurden die verheerenden Folgen der Privatisierung, der Deregulierung und der Spar- und Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte. Der Staat hat sich in einem historischen Ausmaß verschuldet. Wer zahlt jetzt die Folgekosten?
Dafür setzen wir uns ein!
- Wir wollen eine gerechte Lastenverteilung! Deutschland ist mittlerweile eine Steueroase für Erbschaften und Vermögen. Wir fordern schon seit langem, dass der vorhandene Reichtum gerechter verteilt wird und dass Gemeinwohl vor Profit geht. Diese Forderungen sind aktueller denn je. Wir setzen uns für eine gerechte Steuerreform als Teil einer solidarischen Umverteilungspolitik ein, die Großerben, Spitzenverdiener, Multimillionäre und Milliardäre und finanzstarke Unternehmen zukünftig, etwa durch eine Vermögenssteuer, stärker besteuert.
- Wir wollen die Lasten nicht kommenden Generationen aufbürden! Gegenüber der wirtschaftlichen Leistung unseres Landes hält sich die Staatsverschuldung in einem verträglichen Maß. Der Anteil der Staatsschulden am Sozialprodukt ist im internationalen Vergleich niedrig. Dennoch: Wir setzen uns dafür ein, dass nicht kommende Genrationen die Zeche zahlen und eine grundlegende Steuerreform in der kommenden Legislaturperiode des Dt. Bundestages umgesetzt wird, die endlich Steuergerechtigkeit herstellt. Wir setzen uns weiterhin nach dem Leistungsprinzip für eine progressive Besteuerung und einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent ein. Wir wollen die Regelsätze der Grundsicherung deutlich auf ein bedarfsdeckendes Niveau anheben.
1. Wie beurteilen Sie die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie? Halten Sie eine höhere Staatsverschuldung für gerechtfertigt?
„Die finanziellen Folgen der Pandemie sind gravierend. Eine dauerhaft höhere Verschuldung kann aber nicht die Lösung sein. Wir Freie Demokraten wollen die Schuldenstandsquote Deutschlands gemäß den Maastricht-Kriterien zügig wieder unter die 60-Prozent-Marke senken. Auf die Corona-Krise konnte nur deshalb so entschlossen reagiert werden, weil die deutsche Staatsverschuldung in den Jahren davor auf unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesunken war. Um auf zukünftige Krisen vorbereitet zu sein, müssen die Corona-Schulden so schnell wie möglich abgebaut werden. Nur so bleibt Deutschland handlungsfähig. Und nur so hinterlassen wir unseren Kindern solide Finanzen. Dabei stehen wir für eine solide und investitionsorientierte Haushaltspolitik und zur im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Denn jede Generation hat ihre Herausforderungen und muss über die finanzpolitischen Spielräume verfügen, um diesen gerecht werden zu können.“
2. Die KAB setzt sich für mehr Steuergerechtigkeit ein, die nach dem Leistungsprinzip Großerben, Spitzenverdiener, Multimillionäre und Milliardäre und finanzstarke Unternehmen, etwa durch eine Vermögenssteuer, stärker belastet. Was ist ihre Meinung dazu?
„Deutschland gehört bei Steuern und Sozialabgaben zur Weltspitze. Wir Freie Demokraten wollen die Balance zwischen Privat und Staat wiederherstellen, ohne dabei eine seriöse Haushaltspolitik aufzugeben. Wir fordern ein grundlegendes Umdenken in der Steuerpolitik: Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten und damit die unabdingbare Voraussetzung für Impulse in die wirtschaftliche Erholung unseres Landes schaffen. Eine Vermögensteuer halten wir für falsch. Sie ist ein massiver Eingriff ins Eigentum und deshalb in der Vergangenheit als grundgesetzwidrig erklärt worden. Hinzu kommt, dass die Steuergewerkschaft die Vermögenssteuer für nicht administrierbar hält. Wer kleine und mittlere Einkommen entlasten will, sollte sich für die Abschaffung der Kalten Progression und des Solis einsetzen.“
3. Welche (Gegen-)Vorschläge haben Sie, um mehr Steuergerechtigkeit und einen Lastenausgleich herzustellen? Für welche Maßnahmen werden Sie sich im Deutschen Bundestag einsetzen?
„Wir Freie Demokraten wollen einen fairen Tarif bei der Einkommensteuer: den Chancentarif. Dazu wollen wir den Spitzensteuersatz schrittweise „nach rechts verschieben“ – mit dem Ziel, dass dieser erst ab einem Einkommen von 90.000 Euro greift. Dadurch wird der Steuertarif für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zusätzlich gestreckt. Die Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist in Deutschland mittlerweile so hoch wie kaum in einem anderen OECD-Staat (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Steuerpflichtige, die das 1,4- fache des durchschnittlichen Bruttogehalts aller Arbeitnehmer in Deutschland erhalten, zahlen momentan schon den Spitzensteuersatz. Im Jahr 1965 lag dieser Wert noch beim 18-fachen. Für uns ist jedoch klar: Eine Durchschnittsverdienerin und ein Durchschnittsverdiener dürfen nicht fast schon den höchsten Steuersatz zahlen. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht. Umso wichtiger ist es, Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei den Steuern und Abgaben nachhaltig und deutlich zu entlasten. Wir setzen uns für einen „Tarif auf Rädern“ ein. Dazu wollen wir den Einkommensteuertarif so ändern, dass der Staat nicht länger von quasi automatischen Steuererhöhungen profitiert. Wir fordern deshalb eine regelmäßige Anpassung des Steuertarifs einschließlich der Freibeträge, Freigrenzen und Pauschbeträge an die Entwicklung von Gehältern und Preisen. Der Tarif wird also „auf Räder gestellt“. Ohne eine regelmäßige Korrektur des Einkommensteuertarifs werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch in den kommenden Jahren erhebliche Mehrbelastungen zu tragen haben.“
4. Wie sehen Sie grundsätzlich die Zukunft des Sozialstaates? Muss dieser weiter abgebaut, eingefroren oder eher ausgebaut werden? Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?
Der moderne Sozialstaat muss ein Sprungbrett sein. Er muss ermutigen, Potentiale freisetzen und Anstrengung auch wirklich belohnen. Ziel muss es sein, dass Menschen möglichst schnell berufliche Fortschritte machen können. Wir Freie Demokraten wollen Chancen durch Freiräume eröffnen – für ein selbstbestimmtes Leben. Dringenden Handlungsbedarf sehen wir bei den steuerfinanzierten Sozialleistungen. Wir Freie Demokraten wollen das Liberale Bürgergeld, das steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfasst, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden. So möchten wir das Steuer- und Sozialsystem verbinden. Die Grundsicherung muss unbürokratischer, würdewahrender, leistungsgerechter, digitaler und vor allem chancenorientierter werden. Daneben sollte der Passiv-Aktiv-Tausch weiterentwickelt werden, bei dem Gelder, die eine Leistungsempfängerin oder ein Leistungsempfänger erhält, in Lohnkostenzuschüsse für einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz umgewandelt werden können. Darüber hinaus wollen wir bessere Hinzuverdienstregeln beim Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehungsweise beim angestrebten Liberalen Bürgergeld. Die aktuellen Regeln sind demotivierend und sie belohnen kaum, die Grundsicherung durch eigene Arbeit Schritt für Schritt zu verlassen.
Thema: Sozial-ökologische Erneuerung - Die Wirtschaft transformieren – Wohlstand für alle sichern!
Ausgangslage
Der Klimawandel ist für alle sichtbar. Hauptverursacher sind die reichen Länder, die u.a. durch ihren übermäßigen Verbrauch fossiler Brennstoffe über ihre Verhältnisse leben. Wir schädigen unsere Lebensgrundlagen und beuten die göttliche Schöpfung in einem unvertretbaren Maß aus. Einer der Hauptursachen ist unser derzeitiges Wirtschaftssystem, das in kurzer Zeit aus hochwertigen Rohstoffen Müll »produziert«. Eine grundlegende Transformation der Wirtschaft, die sich an den Prinzipien von Individualität, Solidarität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gleichermaßen ausrichtet, steht noch aus. Trotz lobenswerter Fortschritte hin zu einer sozial-ökologischen Erneuerung sind wir von einer vernetzten nachhaltigen Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität (noch) weit entfernt.
Dafür setzen wir uns ein!
- Wir wollen einen politischen Kurswechsel! Wir setzen uns für neue Formen des Wirtschaftens ein, bei denen menschenwürdige Arbeit und der schonende Umgang mit den natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt gestellt werden. Durch eine sozial-ökologische Transformation wollen wir die soziale Marktwirtschaft weiterentwickeln und zukunftsfähig machen. Wir wollen die politischen und gesellschaftlichen Weichen so stellen, dass wir innerhalb unserer planetarischen Grenzen wirtschaften.
- Wir wollen eine ganzheitliche Ökologie! Eine »ganzheitliche Ökologie« nimmt das Ganze in den Blick: Umwelt, Wirtschaft, Soziales und Kultur. Wir setzen uns dafür ein, das Wohlstand an den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und dem Zustand der Umwelt statt allein am Wirtschaftswachstum gemessen wird. Wir setzen uns für eine »ganzheitliche Politik« ein, die nicht länger vom Diktat der Wirtschaft bestimmt wird.
1. Papst Franziskus hat in seinem Apostolischen Schreiben »Evangelii gaudium« den Satz geprägt: »Diese Wirtschaft tötet« und sich damit gegen eine Wirtschaft gewandt, die u.a. viele Menschen ausschließt und zu einer völligen Ungleichverteilung der Einkommen und Lebensmöglichkeiten führt. Was sagen Sie zu dem Satz?
„Für die beschriebene Wirtschaft trifft die Aussage zu, nicht aber für unsere Soziale Marktwirtschaft. Wir sehen die Soziale Marktwirtschaft als lernendes System und als Modell für eine ökonomische Friedensordnung – nicht nur in Europa. Um global die Bedingungen für die Menschen zu verbessern, setzen wir Freie Demokraten uns für eine werteorientierte Entwicklungspolitik ein, die Chancen ermöglicht und Armut bekämpft. Dabei setzen wir auf Qualität statt Quantität der eingesetzten Mittel, um so auch Demokratie, gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Soziale Marktwirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Wir werden die öffentlichen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit als Hebel nutzen, um nationale und internationale Privatinvestitionen sowie philanthropisches Engagement zu mobilisieren und staatliche Eigeneinnahmen in Entwicklungsländern zu generieren.“
2. Wir können nicht so weiter wirtschaften wie bisher. Was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Politikfelder für eine sozial-ökologische Transformation, die wir in der nächsten Legislaturperiode vorrangig angehen müssten? Für welche werden Sie sich einsetzen?
„Wir Freie Demokraten bekennen uns zu den 17 Nachhaltigkeitszielen („Sustainable Development Goals“ – SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen. Wir fordern deshalb die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie entlang dieser Ziele und Indikatoren. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung sind ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung der Globalisierung. Wir Freie Demokraten sehen in nachhaltiger Entwicklung die Chance auf mehr Freiheit für uns alle und für zukünftige Generationen. Die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wie die Covid-19-Pandemie, Klimaveränderungen und Umweltzerstörung, armuts- und kriegsbedingte Fluchtbewegungen, zerfallende Staaten und schlechte Regierungsführung verlangen einerseits ein besser abgestimmtes europäisches und internationales Vorgehen und andererseits eine einheitliche deutsche Positionierung. Gegenwärtig agieren die Ressorts weder abgestimmt, noch lässt sich eine politische Gesamtstrategie erkennen. Mit einer modernen und innovativen Entwicklungspolitik unterstützen wir unsere Partnerinnen und Partner, die Chancen der Digitalisierung, Automatisierung und Urbanisierung in Wert zu setzen.“
3. Deutschland will bis zum Jahr 2050 weitgehend »treibhausgasneutral« werden – so der »Klimaschutzplan 2050«. Die Klimaziele 2020 haben wir nur aufgrund der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Rückgang der Mobilität und Produktion erreicht. Zwar haben wir einen positiven Trend, aber wenn es in diesem Tempo weiter geht, werden wir das für 2050 formulierte Ziel der Treibhausgasneutralität nicht erreichen. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen politische Maßnahmen, um das Ziel dennoch zu erreichen?
„Deutschland und Europa haben sich zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 verpflichtet. Dieses Ziel können wir durch ein striktes und jährlich sinkendes CO2-Limit in einem umfassenden Emissionshandelssystem zuverlässig erreichen. Dabei sind wir als Freie Demokraten der Auffassung, dass das Ziel regelmäßig auf Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in den Sachstandsberichten des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change) evaluiert werden. Sollte Klimaneutralität in der EU in dem Zuge bereits frühzeitiger angestrebt werden, kann der Emissionshandel die Zielerreichung durch Anpassung des Senkungspfads weiterhin garantieren. Damit bekennen wir uns auch zum 13. Ziel für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Auf dem Weg setzen wir auch auf den Erfindergeist von Ingenieurinnen und Ingenieuren, Technikerinnen und Technikern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. So können wir Klimaschutz marktwirtschaftlich und wissenschaftlich sicher erreichen. Der Weg kann und muss in Deutschland und Europa starten, er ist aber erst beendet, wenn alle Emissionen weltweit einen einheitlichen marktwirtschaftlichen CO2-Preis haben.“
4. Umfragen belegen, dass eine Mehrheit in Deutschland bereit ist, die notwendige sozialökologische Erneuerung mitzutragen, wenn es dabei eine gerechte Lastenverteilung gibt. Wie könnte diese aussehen?
„Wir Freie Demokraten wollen eine Klimadividende einführen und die Energiebesteuerung drastisch absenken. So müssen auch die sozialen Kosten des Klimaschutzes abgemildert werden. Da die kontinuierliche Verknappung der Zertifikate auf der einen Seite zu steigenden Preisen und auf der anderen Seite zu höheren staatlichen Einnahmen führen wird, wollen wir die EEG-Umlage abschaffen sowie die Stromsteuer - die unabhängig von der Erzeugungsart und damit der Umweltwirkung erhoben wird - auf den niedrigsten nach aktuellem EU-Recht möglichen Satz absenken und so schnell wie möglich komplett streichen. Darüber hinaus wollen wir Aufkommensneutralität durch die Rückzahlung eines jährlich zu berechnenden pauschalen Betrages, also einer Klimadividende, an jede Bürgerin und jeden Bürger gewährleisten.“
Thema: Demokratie wählen - Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit – Demokrat*innen wählen!
Ausgangslage
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder neu erkämpft und geschützt werden. Gerade die aufgeheizte Stimmung angesichts der Corona-Pandemie hat dies deutlich gemacht. Demokratische Gepflogenheiten wie die faire politische Auseinandersetzung und das argumentative Ringen um die besten Lösungen sind Wesensmerkmale demokratischer Prozesse und einer abwägenden Meinungsbildung. Ohne das »Gebot der Fairness« und der Achtung vor dem politischen »Mitbewerber« können auch demokratische Wahlen – das Herzstück einer jeden Demokratie – nicht fair ausgetragen werden. Demgegenüber nehmen auch bei uns Hetze und Diffamierung bis hin zu Morddrohungen gegenüber gewählten Abgeordneten zu. Politische Gegner werden als Feinde diffamiert, bekämpft und verhöhnt. Beleidigungen, Verleumdungen, Hetze, Verschwörungstheorien und Unwahrheiten werden über das Internet, Twitter, Facebook und andere Medien verbreitet. Ängste von Menschen werden von Extremisten, Radikalen und rechtspopulistischen Parteien ausgenutzt, um sie für das »eigene Lager« und nicht selten gegen die Demokratie zu mobilisieren.
Dafür setzen wir uns ein!
- Wir wollen die Demokratie stärken! Demokratie lebt von unten, vom Engagement aller Bürgerinnen und Bürger, die sich mit fairen und demokratischen Mitteln einmischen. Wir setzen uns in Bündnissen für eine starke Zivilgesellschaft ein, die Grundlage unseres demokratischen Gemeinwesens und Ausdruck demokratischer Willensbildungsprozesse ist. Wir lehnen jede Zusammenarbeit mit demokratie- und fremdenfeindlichen, rassistischen, intoleranten und die Menschenwürde nicht achtenden Parteien ab. Die Positionen der AFD sind mit den Werten der KAB unvereinbar.
- Wir wollen die soziale Demokratie ausbauen! Demokratie lebt davon, dass alle Bereiche der Gesellschaft demokratisch gestaltet werden. Eine »soziale Demokratie« ist dabei ein Gemeinwesen, in dem die repräsentative Demokratie und das Sozialstaatspostulat für das Zusammenleben konstitutiv sind. Ohne einen guten Sozialstaat ist die Demokratie gefährdet. Wir setzen uns deshalb für eine Ausweitung der Selbst- und Mitbestimmungsrechte in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen ein.
1. Die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Amtswechsel des Präsidenten in den USA, insbesondere die Bilder der Erstürmung des Kapitols, haben uns allen vor Augen geführt, wie anfällig Demokratie sein kann. Wie sehen Sie die derzeitige Lage der Demokratie in Deutschland?
„Die Demokratie in Deutschland ist gefestigt, dennoch müssen wir wachsam sein. Extremismus und Terrorismus sind eine Bedrohung für unsere Demokratie und unsere offene und freie Gesellschaft. Der Rechtsstaat muss daher besser organisiert sein als das Verbrechen. Wir brauchen einen handlungs- und durchsetzungsstarken Rechtsstaat, der Sicherheit und Freiheit gleichermaßen gewährleistet. Dazu wollen wir Polizei und Justiz besser ausstatten, unsere Sicherheitsarchitektur erneuern und den Feinden des Rechtsstaats entschieden entgegentreten.“
2. Die KAB setzt sich für eine Ausweitung der Demokratie, insbesondere im Bereich der Wirtschaft ein. Stichwort »Wirtschaftsdemokratie«. Welche Schritte und Maßnahmen halten Sie für erforderlich, um die Demokratie zu stärken?
„Selbstbestimmung in allen Lebenslagen heißt demokratische Mitbestimmung über die repräsentative Demokratie hinaus. Unsere Republik braucht Mutbürger, die über bürgerschaftliches Engagement, in Verfahren der Bürgerbeteiligung sowie in lokalen Verfahren direkter Demokratie Verantwortung über die Protestwahl hinaus übernehmen. Wir bekennen uns zur Förderung des Ehrenamtes, zum punktuellen Einsatz professionell moderierter Bürgerbeteiligung jenseits einer Politik des bloßen Zuhörens und zum Ausbau der direkten Demokratie auf kommunaler und Landesebene.“
3. Was sind für Sie die zentralen Kriterien einer fairen politischen Auseinandersetzung, eines fairen Wahlkampfes?
„Wir bekennen uns zu fairen Wahlkampfregeln. Hierfür halten wir uns an einen „Code of Conduct“ – also an Leitlinien für einen respektvollen Umgang, den wir uns selbst auferlegt haben: Der Code of Conduct legt fest, wie wir miteinander umgehen und was unsere Mitglieder voneinander erwarten dürfen. Gleichzeitig beschreibt er den Maßstab, den wir an unsere Kommunikation auch im Wahlkampf anlegen: Wir wollen pointiert und klar, gleichzeitig menschlich und empathisch kommunizieren. Desinformationskampagnen oder Aufrufen zu Rechtsbrüchen, Hass und Gewalt treten wir entschieden entgegen. Auf unseren Social-Media-Kanälen löschen wir im Rahmen unseres Verhaltenskodexes Diskussionsbeiträge, die gegen geltendes Recht verstoßen, sowie rassistische, gewaltverherrlichende, politisch extremistische, sexistische oder diskriminierende Äußerungen. In besonders schwerwiegenden Fällen behalten wir uns vor, Strafanzeige zu stellen. Gleichfalls behalten wir uns vor, gegen Rechtsverstöße – wie z.B. das Recht am eigenen Bild oder am eigenen Wort – juristisch vorzugehen. Dies gilt auch für die Verbreitung von Unwahrheiten.“
4. Die KAB hält die Positionen der AFD mit christlichen Überzeugungen und den Werten der KAB für unvereinbar. Wie stehen Sie dazu?
„Wir teilen Ihre Auffassung und sehen die AfD auch im Widerspruch zu unseren Grundwerten. Wir Freie Demokraten richten uns mit aller Kraft gegen Bestrebungen, unsere demokratische und offene Gesellschaft zu diskreditieren. Die Freiheit jeder und jedes Einzelnen muss die Richtlinie demokratischer Politik bleiben. Hass und Ausgrenzung dürfen keinen Weg in unsere Gesellschaft finden. Wir treten unverändert dafür ein, dass für jede und jeden Einzelnen die Würde und die individuelle Freiheit gewahrt bleiben. Mit allen unseren Grundüberzeugungen und Prinzipien sind wir Freie Demokraten ein Gegenpol zur AfD. Wir Freie Demokraten stehen für eine Politik der Mitte. Es ist unsere Grundüberzeugung, dass es eine Brandmauer gegen Rechts geben muss.“