KAB Diözesanverband Osnabrück
Katholische Arbeitnehmer-Bewegung

KAB Diözesanverband Osnabrück

Wegwerfmenschen

Prälat Peter Kossen macht immer wieder deutlich, dass Christ sein kein Lippenbekenntnis ist. Gerade wenn es unangenehm wird, dürfen wir als Christen nicht wegschauen, sondern im Sinne Christi die (Arbeits-)Welt gestalten. Daher möchte der Diözesanverband der KAB Osnabrück Euch/Ihnen die Pressemitteilung von Prälat Peter Kossen nicht vorenthalten.

Wegwerfmenschen


Peter Kossen
Die ständige Ausweitung der Werkvertrags- und Leiharbeit in unserm Land und ihr Missbrauch zum Zweck von Lohn- und Sozialdumping ist wie ein Krebsgeschwür, dass seinen Ausgang genommen hat in der Fleischindustrie und mittlerweile die Metallindustrie, die Logistik und viele andere Branchen befallen hat. Es geht dabei keineswegs um Flexibilisierung, sondern um primitive Lohndrückerei und das Absenken von Sozialstandards! Die immer weiter verbreitete Verdrängung regulärer Stammbelegschaft durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse wird bisher vom Gesetzgeber tatenlos hingenommen. Dieser unterstellt, dass die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten Sache des Beschäftigten ist und sein kann und dass Subunternehmer sich an Selbstverpflichtungserklärungen der Fleischindustrie gebunden fühlen. Die Realität zeigt aber, dass Ausbeutung, Menschenschinderei und Lohndrückerei unvermindert fortgeführt werden. Menschen werden benutzt, verschlissen und dann entsorgt - wie Maschinenschrott: Wegwerfmenschen. Der aktuelle Fall eines Subunternehmers aus dem Emsland zeigt, mit welcher Qualität Mensch wir es dabei zu tun haben: Als Subunternehmer war er aktiv bei Großschlachthöfen in Sögel und in Lohne; nebenbei machte er im großen Stil in Drogen. Der Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung wird in der Szene „ganz legal“ betrieben, für den Drogenhandel wurde der Betreffende hochgenommen. Moderne Sklaverei ist die Realität; die Behörden schauen machtlos zu. Mit Kriminellen kann man keine Verträge für mehr Rechtssicherheit schließen. Man kann mit der Mafia nicht die Mafia bekämpfen. Wer sich der Mafia bedient und mit ihr Geschäfte macht, der ist selbst Mafia. Was also ist zu tun? - So wie im Schlachthof die Tierkörper laufend auf Parasiten untersucht werden, so muss eine Arbeitskontrollbehörde die Betriebe und Subunternehmer ständig auf Ausbeutung und Sklaverei untersuchen. Frauen und Männer aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn… sind in solchen Strukturen Arbeitnehmer dritter Klasse, eine „Geisterarmee“: Arbeitskräfte ohne Gesicht, ohne Namen und Geschichte, Wegwerfmenschen. Wer nicht den Mut hat, das System zu wechseln, die Sklavenhalter ins Gefängnis zu bringen und die Arbeiter in Festanstellung, der wird immer nur an den Symptomen herumdoktern, aber nie das Übel beseitigen. Mietwucher in unwürdigen Behausungen, die Aushebelung von Arbeitsrecht, von Mindestlöhnen und Sozialstandards, der Verschleiß von Menschen durch gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, die Abhängigkeit der Arbeitsmigranten von ihren Vermittlern und die Abzocke durch diese in den Belangen des alltäglichen Lebens wie Wohnung, Behörden, Übersetzungen: Alles wird ungebremst weiterhin praktiziert. Das EU-Aufenthaltsrecht, kombiniert mit Hartz IV („nur der Mensch in Arbeit hat Recht auf Aufenthalt und Bezug von Sozialleistungen“) wird für viele EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien zur Falle, weil sie gezwungen sind, notfalls auch ausbeuterische Job-Angebote in der Fleischindustrie, auf dem Bau oder bei den Paketzustellern anzunehmen. Frauen sind aus diesem Grund leicht Opfer von Zwangsprostitution. Allein in der Stadt Münster gibt es deshalb 400 bulgarische Prostituierte. „Fleisch ist Fleisch“ und das eine wird so verächtlich behandelt und gehandelt, wie das andere – mit dem Unterschied, dass Tierhandel und Tierhaltung stärker reguliert ist… Wegwerfmenschen! Aushöhlung des Sozialstaats und Sozialbetrug der Unternehmen ist es, dass Arbeitsmigranten häufig trotz schwerster Arbeit ihr Leben lang Hungerlöhner bleiben und immer auf Sozialleistungen des Staates angewiesen sind. Sie sind die Altersarmen von morgen. Durch Unkenntnis der deutschen Sprache und des deutschen Rechts geraten viele in völlig irreguläre Arbeitsverhältnisse: Arbeiten ohne Vertrag und trotz Krankschreibung, eine Vielzahl unbezahlter Überstunden, Vorenthaltung von Lohn, Scheinselbständigkeit.

Ärzte wie mein Bruder Florian berichten sehr eindrücklich, was das mit Frauen und Männern macht, wenn sie 6 Tage in der Woche 12 Stunden am Tag bei minus 18 Grad arbeiten oder immer den gleichen Schnitt durch einen Tierkörper machen oder 30kg-Kisten schleppen.

Das erste Wort, das Arbeitsmigranten in unserer Sprache lernen, ist „Schneller!“ Zur körperlichen Belastung kommt die psychische: Die Demütigungen, die Angst und die ständige Sorge, wie es morgen weitergeht. Menschen werden zu Krüppeln geschunden, dann aussortiert und ersetzt: Wegwerfmenschen! Schwerste Verätzungen am ganzen Körper zeigen Patienten, die für Reinigungsarbeiten in Schlachthöfen keine ausreichende Schutzkleidung zur Verfügung haben und unter hohem Zeitdruck arbeiten. Keine Gewerkschaft ist hier zuständig und kein Betriebsrat, denn es handelt sich nicht um Betriebsangehörige. So werden Menschen benutzt wie Gebrauchsgegenstände, die man bei externen Dienstleistern anmietet, einsetzt und nach Verschleiß austauscht und wegwirft. Wer die Schinderei nicht mehr aushält, wird weggeschickt, oft noch um den letzten Lohn geprellt: Wegwerfmenschen! Weil in der Regel ein Großteil der Arbeiter (80% oder mehr) nicht beim Schlachthof angestellt ist, sondern bei einem Subunternehmer, brauchen sich die Unternehmer der Fleischindustrie bei dieser Form moderner Sklaverei gar nicht die Hände schmutzig machen. Und weil es legal ist, viel Geld spart und Unternehmer-Verantwortung auf ein absolutes Minimum reduziert, hat dieses miese Beschäftigungsmodell Schule gemacht: Wegwerfmenschen bauen Kreuzfahrtschiffe und teure deutsche Autos, schuften als Scheinselbständige auf Baustellen und als Paketzusteller. Der Rechtsstaat lässt es geschehen und die Gesellschaft schaut weg. Durch die Arbeits-und Lebensbedingungen sind diese Frauen und Männer über Jahre hin nicht in der Lage, Sprachkurse oder Integrationsangebote wahrzunehmen. So sprechen viele kaum Deutsch. Rund um die Uhr haben sie bereit zu stehen, Arbeit wird häufig kurzfristig per SMS befohlen, Überstunden werden nicht selten spontan angeordnet. Die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in den Orten ist dadurch fast unmöglich. Die Arbeitsmigranten kommen aber nicht mehr hierher, um nach fünf Monaten wieder zu gehen. Sie kommen, um zu bleiben. Ihre Integration und die ihrer Familien findet kaum statt. Parallelwelten entstehen. Die auf Abschottung angelegte Unterbringung in Abbruchhäusern verschärft das Problem. Für Tierstallungen gibt es mehr Regeln, als für Arbeiterunterkünfte. So werden immer noch unwürdige Rattenlöcher zu Wuchermieten mit Werkvertragsarbeitern vollgestopft. Kinder sind davon betroffen: Wegwerfmenschenkinder.

*Was ist zu tun? *
1) Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort!
2) Unfallschutz und Krankenversicherung im Land der Arbeit, also hier und nicht irgendwo!
3) Ortsnahe, unabhängige, kostenlose muttersprachliche Rechtsberatung der betroffenen Arbeitsmigranten - bis vor Gericht!
4) Eine Arbeitskontrollbehörde, die Gesetze durchsetzt und „Parasiten“ unschädlich macht!
5) Wohnungen für die Arbeitsmigranten und ihre Familien!
6) Zurück zur Stammbelegschaft – Begrenzung der Werkvertrags- und Leiharbeit!

Wenn der Wernsing-Konzern immer schon ohne Werkvertragsarbeiter auskommt und „Böseler Goldschmaus“ die Arbeiter anstellt und ihnen Wohnungen baut, warum dann nicht Tönnies, Heidemark, Plukon, Wiesenhof, Westfleisch, Vion und Danish Crown??

Was muss denn erst noch passieren, damit die Landkreise und Kommunen einschreiten? Wie lange kann eine Gesellschaft wegschauen? Papst Franziskus schreibt über diese Entwicklung: „Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann.“ (EG 53) - Wegwerfmenschen: Eine Gesellschaft, die solches zulässt, zerstört das Leben dieser Menschen und letztlich auch sich selbst.

Text: Peter Kossen

« zurück